Die Entstehungsgeschichte unserer Anwohnerinitiative
... ist typisch für das gestörte Verhältnis zwischen Einwohnern und Verwaltung: in unserem Fall auf Bezirksebene.
Anfang 2007 fand in der Aula der Albert-Schweizer-Schule in der Karl-Marx-Straße eine Bürgerversammlung statt, veranstaltet vom Quartiersmanagement Flughafenkiez. Etwa 200 Anwohner waren mit Kind & Kegel erschienen. Erfreulicherweise entsprach das Verhältnis der Nachbarn in- und ausländischer Provenienz der Nord-Neuköllner Realität: etwa 35 zu 65 Prozent. Ein üppiges Programm und ein weniger üppiges Buffet umrahmten das Ereignis. Der Bürgermeister hielt eine seiner hemdsärmligen Ansprachen, die Schülerinnen und Schüler spielten, musizierten und sangen sich die Seele aus dem Leib - es war alles sehr festlich.
Dann ging es an die Arbeit. Eine Handvoll frisch vom Arbeitsamt kurzgeschulter Mediatorinnen (mit Abitur) teilte die anwesende Bevölkerung in verschiedene Gruppen auf: die „Snickers“-Gruppe“, die „Mars“-Gruppe“, die „Bounty“-Gruppe usw. Es wurden die entsprechenden Süßigkeiten an die Anwohner verteilt und die Anwohner in verschiedene Klassenzimmer. Die Mediatorinnen liefen zur Höchstform auf und behandelten die in den einzelnen Gruppen Anwesenden klippschulmäßig wie dumme Kinder. Nicht erst jetzt gingen bei der Einen oder dem Anderen die Augenbrauen hoch. Allzu kritische Bemerkungen wurden von den Mediatorinnen mehr oder weniger geschickt abgewimmelt. Es wurden bunte Zettel beschrieben und auf dem Boden verteilt. Es ging zu wie in einer Selbsthilfegruppe von Menschen mit Hundekackeallergie.
Nach der Pause war mehr als die Hälfte der Leute weg. Von denen, die mit wachsender Empörung der Veranstaltung bis zum Schluss beigewohnt hatten, traf sich anschließend spontan ein knappes Dutzend in einer Kneipe. Es wurde dem allgemeinen Unmut gehörig Luft gemacht und ein wöchentliches Treffen vereinbart.
Nach ein paar Wochen wurde vom Quartiersmanagement ein Nachbereitungstreffen einberufen, in dem die ebenfalls eingeladenen Mediatorinnen und deren unverschämtes Verhalten gegenüber erwachsenen Menschen dermaßen vernichtend kritisiert wurden, dass sie sich schließlich wie ungezogene Kinder aufführten und abzogen.
Soweit, so schlecht. Die Anwohnerinitiative traf sich fürderhin mehr oder weniger regelmäßig in unterschiedlicher Besetzung. Es wurde ein Brandbrief (pdf, 92 KB) an die Bezirksverordneten, die Stadträte und den Bürgermeister verfasst, in dem die Probleme en detail ventiliert wurden. Die Resonanz war mehr als ernüchternd: Lediglich zwei der Adressaten reagierten auf unseren Hilferuf. Warum nahm man uns, die betroffenen Anwohner, nicht ernst? Die Medien reagierten anders: In der Abendschau gab es einen Beitrag, die Zeitungen mit den großen Buchstaben waren wie üblich nur sensationsgeil, die seriösen Blätter verhielten sich - zunächst - zurückhaltend, weil sie uns für eine „Bürgerinitiative gegen Prostitution“ hielten (mittlerweile haben alle ernstzunehmenden Zeitungen und das RBB-Inforadio über das Problem berichtet).
Schließlich gab es in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine große und eine kleine Anfrage. Der Bürgermeister reagierte nichtssagend. Der zuständige Baustadtrat ebenso.
Und was machen brave Bürger in so einer Situation? Sie gründen einen Verein. Das war im August 2008.
Das Problem, das wildwuchernde Rotlichtmilieu, wurde von der BVV in den Wirtschaftsausschuss ausgelagert, um es dort zu beerdigen. Also erschienen wir auch da mit ca. 20 engagierten Nachbarn - sehr zum Erstaunen der versammelten Bezirksverordneten. Wir bekamen Rederecht und machten davon Gebrauch. Anwesend waren auch zwei hochrangige Polizeibeamte, der Leiter des Polizeiabschnittes 55 (Rollbergwache) und eine Kriminalhauptkommissarin des Landeskriminalamtes, die dem Baustadtrat, der die Fakten kleinreden wollte, in allen wesentlichen Punkten widersprachen, aufgrund ihres Insiderwissens widersprechen mussten. Das Problem wurde schließlich in den Ausschuss für Stadtplanung verwiesen, um es dort endzulagern. Der Ausschuss für Stadtplanung tagt öffentlich. Die nächste Sitzung ist am 11. Juni 2009 um 17 Uhr im Rathaus.
Bei vielen Bezirksverordneten schien unsere Not immer noch nicht angekommen zu sein. Also stellten wir den Antrag zur Durchführung einer Einwohnerversammlung, wie es der § 32 der Geschäftsordnung der BVV vorsieht. Dem Antrag wurde mit Mehrheit stattgegeben.
Mittlerweile hat die Polizei unter Federführung des Landeskriminalamtes eine Reihe von Razzien durchgeführt. Zwei Etablissements wurden dichtgemacht, eines davon dauerhaft, ein anderes hat unter anderem Namen wiedereröffnet: Business as usual. Aus einem der Puffs wurden drei 16jährige osteuropäische Zwangsprostituierte herausgeholt und damit befreit. Zwei weitere Läden wurden durch unsere Eigeninitiative geschlossen, eine „Modellagentur“ und ein großes Wohnungsbordell warfen wegen des polizeilichen Drucks das Handtuch.
Doch damit ist das Problem nicht gelöst, es wurde nur etwas eingedämmt. Inzwischen kommen die Ratten wieder aus ihren Löchern; nicht nur an den Wochenenden muss wieder regelmäßig die Polizei wegen der Lärmbelästigung bis in die Morgenstunden hinein gerufen werden.
(Wird fortgesetzt)
Anfang 2007 fand in der Aula der Albert-Schweizer-Schule in der Karl-Marx-Straße eine Bürgerversammlung statt, veranstaltet vom Quartiersmanagement Flughafenkiez. Etwa 200 Anwohner waren mit Kind & Kegel erschienen. Erfreulicherweise entsprach das Verhältnis der Nachbarn in- und ausländischer Provenienz der Nord-Neuköllner Realität: etwa 35 zu 65 Prozent. Ein üppiges Programm und ein weniger üppiges Buffet umrahmten das Ereignis. Der Bürgermeister hielt eine seiner hemdsärmligen Ansprachen, die Schülerinnen und Schüler spielten, musizierten und sangen sich die Seele aus dem Leib - es war alles sehr festlich.
Dann ging es an die Arbeit. Eine Handvoll frisch vom Arbeitsamt kurzgeschulter Mediatorinnen (mit Abitur) teilte die anwesende Bevölkerung in verschiedene Gruppen auf: die „Snickers“-Gruppe“, die „Mars“-Gruppe“, die „Bounty“-Gruppe usw. Es wurden die entsprechenden Süßigkeiten an die Anwohner verteilt und die Anwohner in verschiedene Klassenzimmer. Die Mediatorinnen liefen zur Höchstform auf und behandelten die in den einzelnen Gruppen Anwesenden klippschulmäßig wie dumme Kinder. Nicht erst jetzt gingen bei der Einen oder dem Anderen die Augenbrauen hoch. Allzu kritische Bemerkungen wurden von den Mediatorinnen mehr oder weniger geschickt abgewimmelt. Es wurden bunte Zettel beschrieben und auf dem Boden verteilt. Es ging zu wie in einer Selbsthilfegruppe von Menschen mit Hundekackeallergie.
Nach der Pause war mehr als die Hälfte der Leute weg. Von denen, die mit wachsender Empörung der Veranstaltung bis zum Schluss beigewohnt hatten, traf sich anschließend spontan ein knappes Dutzend in einer Kneipe. Es wurde dem allgemeinen Unmut gehörig Luft gemacht und ein wöchentliches Treffen vereinbart.
Nach ein paar Wochen wurde vom Quartiersmanagement ein Nachbereitungstreffen einberufen, in dem die ebenfalls eingeladenen Mediatorinnen und deren unverschämtes Verhalten gegenüber erwachsenen Menschen dermaßen vernichtend kritisiert wurden, dass sie sich schließlich wie ungezogene Kinder aufführten und abzogen.
Soweit, so schlecht. Die Anwohnerinitiative traf sich fürderhin mehr oder weniger regelmäßig in unterschiedlicher Besetzung. Es wurde ein Brandbrief (pdf, 92 KB) an die Bezirksverordneten, die Stadträte und den Bürgermeister verfasst, in dem die Probleme en detail ventiliert wurden. Die Resonanz war mehr als ernüchternd: Lediglich zwei der Adressaten reagierten auf unseren Hilferuf. Warum nahm man uns, die betroffenen Anwohner, nicht ernst? Die Medien reagierten anders: In der Abendschau gab es einen Beitrag, die Zeitungen mit den großen Buchstaben waren wie üblich nur sensationsgeil, die seriösen Blätter verhielten sich - zunächst - zurückhaltend, weil sie uns für eine „Bürgerinitiative gegen Prostitution“ hielten (mittlerweile haben alle ernstzunehmenden Zeitungen und das RBB-Inforadio über das Problem berichtet).
Schließlich gab es in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine große und eine kleine Anfrage. Der Bürgermeister reagierte nichtssagend. Der zuständige Baustadtrat ebenso.
Und was machen brave Bürger in so einer Situation? Sie gründen einen Verein. Das war im August 2008.
Das Problem, das wildwuchernde Rotlichtmilieu, wurde von der BVV in den Wirtschaftsausschuss ausgelagert, um es dort zu beerdigen. Also erschienen wir auch da mit ca. 20 engagierten Nachbarn - sehr zum Erstaunen der versammelten Bezirksverordneten. Wir bekamen Rederecht und machten davon Gebrauch. Anwesend waren auch zwei hochrangige Polizeibeamte, der Leiter des Polizeiabschnittes 55 (Rollbergwache) und eine Kriminalhauptkommissarin des Landeskriminalamtes, die dem Baustadtrat, der die Fakten kleinreden wollte, in allen wesentlichen Punkten widersprachen, aufgrund ihres Insiderwissens widersprechen mussten. Das Problem wurde schließlich in den Ausschuss für Stadtplanung verwiesen, um es dort endzulagern. Der Ausschuss für Stadtplanung tagt öffentlich. Die nächste Sitzung ist am 11. Juni 2009 um 17 Uhr im Rathaus.
Bei vielen Bezirksverordneten schien unsere Not immer noch nicht angekommen zu sein. Also stellten wir den Antrag zur Durchführung einer Einwohnerversammlung, wie es der § 32 der Geschäftsordnung der BVV vorsieht. Dem Antrag wurde mit Mehrheit stattgegeben.
Mittlerweile hat die Polizei unter Federführung des Landeskriminalamtes eine Reihe von Razzien durchgeführt. Zwei Etablissements wurden dichtgemacht, eines davon dauerhaft, ein anderes hat unter anderem Namen wiedereröffnet: Business as usual. Aus einem der Puffs wurden drei 16jährige osteuropäische Zwangsprostituierte herausgeholt und damit befreit. Zwei weitere Läden wurden durch unsere Eigeninitiative geschlossen, eine „Modellagentur“ und ein großes Wohnungsbordell warfen wegen des polizeilichen Drucks das Handtuch.
Doch damit ist das Problem nicht gelöst, es wurde nur etwas eingedämmt. Inzwischen kommen die Ratten wieder aus ihren Löchern; nicht nur an den Wochenenden muss wieder regelmäßig die Polizei wegen der Lärmbelästigung bis in die Morgenstunden hinein gerufen werden.
(Wird fortgesetzt)
knofo - 2009/05/28 13:40